siehe
auch:
Nemetschek AG
aktueller Aktienkurs |
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Was ist los bei Nemetschek?
(21.6.2002) Am 12. Juni 2002 lud die Nemetschek AG für 10 Uhr zur ordentlichen
Hauptversammlung (HV) in das ArabellaSheraton Hotel nach München-Bogenhausen ein - feine Adresse.
Über 200 Aktionäre und Gäste folgten der Einladung, um sich über die
Geschäftsentwicklung und -aussichten zu informieren.
Unbestritten sind die Geschäfte für die Nemetschek AG (wie für die ganze Branche) in
den letzten Jahren alles andere als prickelnd verlaufen: "Leitungswasser statt
Schampus" könnte man konstatieren. Warum? Augenfällig sind einige Beteiligungen und
diverse Projekte, die das einst als solide geltende Unternehmen, die "Messlatte in
der AEC-Branche", in die Verlustzone rutschen ließen. Die Börse quittierte dies mit
herben Kursverlusten: nach Höchstständen bei über 90 Euro im Jahre 1999 kratzt die
N-Aktie inzwischen an der 2 Euro-Marke - allerdings immer noch an der Oberkante dieser
Linie (Stand 21.6.; aktueller Aktienkurs).
Auf das vielfache Tohuwabohu in der mehr als 13-stündigen Hauptversammlung soll an
dieser Stelle gar nicht eingegangen werden. Wenngleich gut organisierte und informierte
Aktionäre einen "Tag der Abrechnung" zelebrieren konnten, weil ganz
offensichtlich Vorstand und Aufsichtsrat der AG die Kompetenz und Unbeugsamkeit der
Fragesteller unterschätzt hatten. Einige der anwesenden Aktionäre kannten einfach keine
Gnade bei der Darlegung ihrer Argumente, die allerdings nicht immer sachlich vorgetragen
wurden und mehrfach auf Beleidigungen und Unterstellungen hinausliefen.
Zu guter Letzt muß gar befürchtet werden, dass die gefällten Beschlüsse ungültig
sind, weil im Verlauf der HV mehrere Aktionäre entweder des Saales verwiesen wurden oder
einfach nach Hause gegangen sind, und insofern die Versammlung möglicherweise gar nicht
mehr beschlußfähig war - wir werden sehen.
Ein paar Aussagen aus dem Bericht des Vorstandes, die ansich nichts Neues bieten, seien
hier zusammengefaßt, um ggfls. später noch einmal darauf verweisen zu können:
- Nach der Lünendonk-Liste sei man der fünftgrößte deutsche
Softwarehersteller und eines der größten Unternehmen für Bausoftware in
Europa (siehe
Ausschnitt aus der Liste im Rahmen einer MuM-Meldung vom 9.6.2002)
- Weltweit zähle man über 160.000 Kunden in 142 Ländern, die von über 400
Vertriebspartnern betreut würden.
- Das Geschäftsklima bei Architekten sei so mies wie seit 15 Jahren nicht mehr (siehe
dazu "ifo Architektenumfrage: Geschäftsklima so frostig wie letztmals vor 15
Jahren" vom 13.2.2002, aber auch "Geschäftserwartungen
der Hochbauarchitekten signalisieren vorsichtige Zuversicht" vom 16.5.2002)
- In 2001 wurden selbst die revidierten Umsatz- und Ergebnisziele nicht erreicht: die
Umsatzerlöse lagen mit 124,4 Mio. Euro nur annähernd auf Vorjahresniveau (Vj.: 126,6
Mio. Euro) - siehe auch: "Zuversicht
in der Nemetschek AG" vom 21.3.2002 und "Nemetschek
sieht rot" vom 14.2.2002.
- Im ersten Quartal 2002 lag der Umsatz im Rahmen der Erwartungen, wenngleich die Umsätze
mit 28,2 Mio. Euro (Vj.: 32,4 Mio. Euro) und das EBIT mit 0,1 Mio. Euro (Vj.: 1,9 Mio.
Euro) unter Plan lagen (siehe "Nemetscheks
erstes Quartal mit einigen Minuszeichen" vom 17.5.2002). Interessant auch, dass
Nemetschek als Software-Entwickler schwache Margen und einen hohen Wareneinsatz beklagen
muß.
- Die Umsatz- und Ergebnisentwicklung sei 2001 allemal unbefriedigend verlaufen, und auch
für 2002 könne man keinesfalls optimistisch sein.
- In der ersten Phase der Restrukturierung wurden 151 Mitarbeiter freigesetzt, was im
laufenden Jahr zu einer Kostenentlastung in Höhe von 6 Mio. Euro führen soll. Erreicht
wurde dieses durch die Zusammenführung von Gesellschaften, die Schließung von
Geschäftsstellen, die Reduktion externer Beratung sowie die Veräußerung des eShops, der
Nemetschek direct GmbH (siehe z.B.: "SpeedWare mutiert zur
Nemetschek SpeedWare" vom 5.3.2002 und dann weiter "Nemetschek
bündelt Facility- und Immobilien-Management in der Nemetschek CREM Solutions"
vom 12.6.2002; oder "Henke & Partner + IBD jetzt gemeinsam als Nemetschek Bausoftware GmbH"
vom 16.1.2002)
- Man habe ebenfalls erkannt, dass die MyBau AG nicht in das Geschäftsmodell der
Nemetschek AG passe, da sich diese nicht im ASP-Markt
etablieren könnte. Am e-Business- Markt will man zwar weiter partizipieren, aber
keinesfalls mehr finanzielle Verpflichtungen eingehen (siehe dazu "Nemetschek AG
startet Großprojekt im Internet: Tochterunternehmen MyBau.com AG geht noch dieses Jahr
ans Netz" im März und "Nemetschek Tochter
MYBAU.COM mit erster Version" im Dezember 2000). Nach der Fusion von MyBau und
Congate Anfang 2001 wurde die Gesellschaft im Mai 2002 mit BuildOnline zusammengeführt
(siehe "MyBau und
BuildOnline führen ihre Internetportale zusammen" vom 22.5.2002).
In der Aussprache prallten Charaktere und Meinungen aufeinander: So wurden
beispielsweise die Aufwendungen rund um das Firmengebäude am Konrad-Zuse-Platz heiß
diskutiert: hier besteht nämlich ein 10-jähriger Mietvertrag direkt oder indirekt (?)
mit dem Hauptaktionär, der Familie Nemetschek, der die AG jährlich 4,5 Mio. DM kosten
soll. Auch wurde seitens einiger aufgebrachter Aktionäre mangelndes Kostenbewusstsein
z.B. bezüglich Abfindungen und Beraterhonoraren konstatiert (Man lernt z.B. dabei, das es
durchaus Tagessätze in Höhe von 3.500 DM exklusive Spesen für Einzelprojekte geben
kann!). Zudem war von "Bilanzfälschung", "Tricksereien" und
"Amigoverhältnissen" die Rede.
So ist es fast nicht mehr verwunderlich, dass es den
verärgerten Aktionären gelang, eine Sonderprüfung durchzusetzen: Einem entsprechenden
Antrag eines Aktionärs stimmte die Hauptversammlung mit einer knappen Mehrheit
überraschend zu. Wie die Süddeutsche Zeitung in dieser Woche berichtete, seien
zahlreiche brisante Fragen für die Sonderprüfung formuliert worden:
- Es sollen u.a. sämtliche Unternehmenskäufe geprüft werden, für die im
Jahresabschluss der AG hohe Millionenabschreibungen vorgenommen wurden.
- Weiter geht es darum, ob Mitglieder der Gründerfamilie Nemetschek Einfluss auf den
Erwerb der Unternehmen ausgeübt hätten.
- Geklärt werden soll zudem, ob Ad-hoc-Mitteilungen aus den Jahren 2000 und 2001
"vollständig", "ordnungsgemäß" und "rechtzeitig" erfolgt
seien.
Der Nemetschek AG werden die nächsten Monate und Jahre also nicht leicht fallen; und
auch die Trennung vom Vorstandsvorsitzenden Gerhardt Merkel wird kaum mehr als symbolische
Wirkung haben (siehe Meldung vom 14.6.). Gleichwohl kann ich (AO) mir einige Anmerkungen
nicht verkneifen:
- Das Thema Investor-Relations muß vermutlich (nicht nur) bei Nemetschek
neu bewertet werden: Aktien sollten wie reale Handels-Produkte (oder meinetwegen auch
Software) entwickelt, gepflegt, vermarktet und supportet werden; die Aktienmärkte bzw.
Aktionäre sind von den AGs wie ein weiteres Geschäftsfeld zu betrachten und müssen mit
eigenen Marketing-Aktivitäten entsprechend beackert werden. Auch in guten Zeiten ist es
speziell der Nemetschek AG nur selten gelungen, positive News zum richtigen Zeitpunkt mit
der notwendigen, motivierenden Stimmung zu positionieren.
Es sei aber auch mal ganz allgemein darauf hingewiesen, dass schlechte Verlierer nicht nur
im Sport nerven und häufig ungerecht sowie unsachlich argumentieren: jeder andere ist
schuld, nur man selber nicht! Immerhin können auch Aktionäre jederzeit den für sie
interessanten Kursverlauf verfolgen und gegebenenfalls eigenverantwortlich handeln (n-tv
und Internet sei Dank). Nur selten werden sie nachhaltig daran gehindert, rechtzeitig
(oder nur mit geringen Verlusten) ein vermeintlich sinkendes Schiff zu verlassen. Für die
Folgen ihrer eigenen Gier nach dem schnellen Geld - geprägt von der Aktien-Hyp Ende der
90er - sind sie allemal mitverantwortlich.
- Bodenhaftung: "Die Nemetscheks waren schon immer etwas
Besseres!" In Zeiten, in denen sich die Münchner nur an ihren Produkten messen
lassen mußten und ihr Geschäft auch nur aus diesen Gewinnen entwickeln konnten, war auch
immer noch eine gute Portion des gesunden Menschenverstandes zu beobachten. Aber die
Nemetschek AG ist nicht die erste Firma (und wird auch nicht die letzte gewesen sein),
über die ein Emissionserlös wie ein Lottogewinn hereingebrochen ist: Was kostet die
Welt? Haben, haben, haben wollen! Marktanteile sichern!! Vor lauter Synergien-Bildung ist
der eingekaufte Bauchladen zugeschwemmt worden oder auch einfach nur geplatzt. Hier helfen
nun nur noch ein paar ganz schmerzhafte Operationen in der eigenen Bauchhöhle: Wieviele
Mitarbeiter werden tatsächlich gebraucht, um das neue Briefpapier zu designen? Wird
überhaupt neues Briefpapier gebraucht? (Das Briefpapier bitte symbolisch verstehen!) Wie
satt oder hungrig sind die eigenen Leute eigentlich? Wie stellt sich das Verhältnis
zwischen Häuptlingen und Indianern dar? ....
Allerdings gilt auch in Sachen Nemetschek die alte Weisheit, laut der man hinterher immer
klüger ist: Beispiel: MyBau. Ohne die damals vielzitierte und mit MyBau Rechnung
getragene "Internet-Phantasie" wäre Nemetschek vielleicht gar nicht in der Lage
gewesen, sich überhaupt dem Aktienmarkt zu stellen. Heute wissen wir, dass eine solche
überdrehte Unternehmung mit Horden von hochbezahlten Mitarbeitern einem ungedeckten
Scheck in die Zukunft gleichkam - aber Ende der 90er Jahre sind die wenigen Skeptiker fast
von der gesamten Branche nur belächelt worden: Es gibt demzufolge kaum ein Unternehmen,
welches im Internet keine Verlust zu verzeichnen hätte. Hinterher ist man eben immer
klüger.
Ach ja: Für Herbst 2002 können von Nemetschek - laut HV-Aussagen -
neue Produkte erwartet werden und man habe "noch vieles in der Pipeline". (zudem
zur Erinnerung: "Die neue Allplan FT Version ist da!" vom 8.5.2002). Auch sollen "Kernkompetenzen zum Kerngeschäft" gemacht werden, und das
Hauptaugenmerk will die Nemetschek AG in Zukunft auf die Bereiche Bauen und Nutzen legen,
da diese Segmente noch ausbaufähig seien.
AUSSERDEM: Wenn einerseits die schlechte Baukonjunktur vielerorts als
Begründung für mangelnden Erfolg im AEC-Umfeld herhalten muß, so könnte man
andererseits auch argumentieren, dass die AEC-Protagonisten quasi als
"Kriegsgewinnler" aus der aktuellen Bauschwäche hervorgehen müßten: Als
Hersteller von Rationalisierungswerkzeugen in einem Milliarden--Markt (veranschlagte
Kosten allein nur für Bauwerke im Jahr 2000: 87.259 Mill. EUR) sollten die Götter
der Bits und Bytes doch eigentlich von Gebäude- und Stadtplanern, Bauunternehmen und
Handwerkern sowie Facility Managern und Immobilienbetreibern geradezu heimgesucht werden,
um Abläufe zu optimieren, Kommunikation zu verbessern, Ressourcen einzusparen, Prozesse
zu beschleunigen oder neue Geschäftsbereiche zu erschließen - sollte man meinen! Warum
also nutzt die gebeutelte Planungs- und Baubranche nicht die Gelegenheit, um sich
antizyklisch gegen aktuelle Unbill zu wappnen und für den nächsten Boom zu präparieren?
Zeitmangel dürfte es ja wohl nicht sein?! Sind möglicherweise ...
- die angebotenen Werkzeuge zu unpraktikabel?
- die Softwareangebote nicht ausreichend strukturiert?
- die vermeintlichen High-Tech-Entwicklungen am Bedarf vorbei programmiert?
- die Kredite / das Vertrauen durch zu viele vollmundige Ankündigungen in der
Vergangenheit verspielt?
- die Fortschritte bei neuen Programmversionen zu marginal oder nicht kommunizierbar?
- Weiterentwicklungen von herstellerunabhängigen Austauschformaten wie IFC
zu zäh?
Und dann wäre da noch die grassierende Rabatteritis: Bereits die mb Software AG hatte
mit ihrer Rabatt-Politik sich selber aus dem Spiel gekickt und zudem den Markt nachhaltig
gestört. Soll das so weiter gehen? Es ist nicht einzusehen, warum Software initial fast
verschenkt werden muß, um zumindest über nachgekarrte Wartungs- oder Pflegeverträge ein
bißchen den Kunden anzapfen zu können. Seriös wirkt das nur selten! Andererseits
sollten gerade auch Architekten und Ingenieure sensibel sein für den Wert immaterieller
Arbeit; es ist niemandem damit gedient, wenn die Software-Branche ausgehungert wird. |